Ihn müssen nicht alle lieben

Nordsee-Zeitung vom 14.11.2014 von Susanne Schwan

Eberhard Muras geht als Geschäftsführer des Diakonischen Werks in den Ruhestand

Geschäftsführer der Diakonie Herr Eberhard MurasBREMERHAVEN. Lehrer, Sozialpädagoge, Diakon, Jurist - und ein Geschäftsmann, der unter Verhandlungspartnern nicht immer den frömmsten Ruf genießt. Eberhard Muras leitete 16 Jahre das Diakonische Werk. Ende November wird der „Boss“ von rund 400 Mitarbeitern in 13 diakonischen Einrichtungen - von der Bahnhofsmission über Straffälligenhilfe bis zu Kitas und Seniorenheimen - in den Ruhestand verabschiedet. Der 65-Jährige zieht im Gespräch mit Susanne Schwan Bilanz.

Herr Muras, böswillige Zungen könnten diese 16 Jahre als Ära der Pleiten, Pech und Pannen bezeichnen - unter Ihrer Leitung gab es neben Geglücktem auch geplatzte Projekte, nicht gebaute Häuser, eine Insolvenz und Personaleinsparungen. Mit welchem Gefühl hören Sie auf?

(schmunzelt) Dass in der Stadt Tränen fließen werden - auch Freudentränen. Man kann nicht Geschäftsführer sein, wenn man denkt, es müssen mich alle lieben. Nein, ich glaube, wir sind im Chor aller Wohlfahrtsverbände eine verlässliche Stimme geworden. Dass die Verbände zusammenarbeiten, ist in dieser Stadt notwendig, die von so vielen Probleme beladen ist.

Als Sie 1999 antraten, hatten Sie prophezeit, dass künftig, 'mit immer weniger öffentlichen Mitteln immer mehr Hilfen organisiert werden muss‘…

Das hab ich wirklich gesagt? Erstaunlich. Ja, das ist noch immer so, das stimmt.

Die Insolvenz der diakonischen Familienhilfe vor drei Jahren erklärten Sie damit, dass die Arbeit des Diakonischen Werks der Stadt zu teuer war…

Es schmerzt, wenn man sieht, man muss sich doch noch von Geschäftsfeldern trennen, die andere, private Anbieter billiger hinkriegen. Mich hatte seinerzeit schon geärgert, dass kurzfristige Veränderungen von Auftraggebern, zum Beispiel der Stadt, letztendlich zur Insolvenz der Familienhilfe geführt haben. Da sie Gott sei Dank als eine eigene Gesellschaft bestand, hat das nicht das ganze ‚Schiff‘ Diakonisches Werk zum Kentern gebracht. Das hab ich hier an der Küste gelernt: Ein Loch im großen Schiffsrupf, und es säuft ab. Hat es aber einzelne Kammern, trägt es auch in Schieflage noch, trotz Leck. Das braucht eine gute Mannschaft. Die hab ich - auch durch personelle, nicht immer populäre Veränderungen, ja. Ich weiß, das hängt mir nach.

Wie schwierig ist die Balance zwischen dem Seelsorger und dem Leiter eines kirchlichen Wirtschaftsbetriebs?

Das Spannungsfeld zwischen Diakonie und Ökonomie besteht. Diakonie ist für mich Ökonomie mit persönlichem Gesicht. So habe ich versucht, mit Geschäftspartnern und Mitarbeitern umzugehen. Auch als Diakonie können wir nicht alle Wünsche erfüllen. Aber es kann nicht sein, dass Diakonie nur noch ökonomisch ausgerichtet wird. Man kann verlässliche Arbeit nicht mehr zu jedem Preis auf Kosten von Menschen, Mitarbeitern, Kunden machen.

Scheiterte die Familienhilfe an den hohen Tarifen der Diakonie? Steht die Diakonie, wie gemunkelt wird, klamm da?

Das Diakonische Werk hat erst jetzt einen Tarifvertrag mit Verdi beschlossen. Bisher gab es Richtlinien der Kirche. Die Verhandlungen über die Höhe von Tarifen beginnen erst. Klamm? Nein, wir können aber öffentliche Aufgaben nicht mehr finanzieren, dafür sind wir nicht da. Daher klagen wir seit langem gegen die Stadt wegen der Eigenbeteiligung der Träger an den Kitas. Da gibt es eine unklare Rechtslage mit unterschiedlichen Verträgen, das hab ich von 16 Jahren geerbt. Wir zahlen 4 bis 5 Prozent der Kosten, andere Träger nix. Das sehen andere Wohlfahrtsverbände auch. Es geht um die Gleichbehandlung.

Die beiden neuen Krippen in der alten Lutherschule und an der Ellhornstraße gehören sicher zu den Positiva Ihrer Bilanz. Welche noch?

Dass wir in der Veränderung für behinderte Menschen von der engen Heim-Betreuung zu individueller Begleitung gekommen sind. Zum Beispiel haben wir die stationäre ‚ARCHE‘ für psychisch Kranke aufgelöst in ein Zentrum mit verschiedenen Standorten individueller Wohnformen.


Eine Erfolgsgeschichte dürfte auch der Neubau des Elisabeth-Hauses an der Schillerstraße sein?

Ja, zukunftsweisend und mitten in der Stadt. Das ist zu 99 Prozent ausgelastet.


Was ist aus den Umbauplänen für das Jacobi-Pflegeheim Lehe geworden?

Es ist noch nicht saniert. Wir prüfen, welche Wohnform dort sinnvoll wäre. Das hätte ich gerne noch zu Ende geführt.


Eine offene Baustelle ist für Sie wohl auch die immer noch nicht begonnene Erweiterung der psychiatrischen Kinder- Tagesklinik mit Umzug ins einstige Gemeindezentrum Bürgerpark-Süd?

Die Eröffnung dort krieg ich nicht mehr mit, aber die Grundsteinlegung hoffe ich doch.


Was braucht ein Nachfolger auf Ihrer Position? Starke Nerven?

Vor allem sollte er ein Herz für Menschen und Geschäftssinn haben. Es gibt ihn übrigens schon, Pastor Wolfgang Mann aus Bochum tritt zum 1. Dezember an.


Und was machen Sie mit der drohenden Freizeit?

(lacht) Da gibt´s ne geheimnisvolle Liste von Sachen, die ich sicher nicht vermissen werde. Ich hoffe auf einen spannenden Lebensabschnitt, viel Zeit für meine drei Enkeltöchter, plane eine Wanderung zur Zugspitze, bleibe im Vorstand des Vereins Neue Arbeit und als Berater in der Diakonie aktiv. Und vielleicht schreib ich begonnenes Kinderbuch zu Ende.

 

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