Dein Verhalten ist falsch - nicht Du!

Das ARCHE Zentrum der Diakonie kümmert sich seit 30 Jahren um die Betreuung von psychisch kranken Menschen. Die Mitarbeitenden unterstützen in Krisen, helfen in allen Lebens- und Alltagsfragen. Dabei richten sie sich immer nach den Bedürfnissen der Menschen, die auf ihre Hilfe vertrauen und angewiesen sind. Es geht immer darum, den Menschen zu sehen, nicht sein Verhalten und nicht die Abweichung. Das ist oft nicht einfach, wie zum Beispiel im Fall von Maximilian (Name geändert), der drei Jahre lang im ARCHE Zentrum betreut wurde.

Er kam mit 21 Jahren ins ARCHE Zentrum. Intelligenzminderung, Epilepsie, instabile Persönlichkeitsstörung mit starken Impulsstörungen – das waren die ersten Informationen über ihn.

Dann stand er vor den Mitarbeitenden, der schlaksige junge Mann, der gerade zu Hause rausgeflogen war, nachdem es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit dem Vater gekommen war. Er hatte auch bei seiner Arbeit zunehmend Schwierigkeiten, eckte immer wieder an. Er war nicht „sozial-kompatibel“,  die Ausbildung als Einzelhandelskaufmann wurde aufgelöst. Dem 21-Jährigen drohte die Obdachlosigkeit.  Er wäre in eine Notunterkunft in Cuxhaven gekommen. Dies wäre für ihn nicht zu bewältigen gewesen, war die Einschätzung. Die Mitarbeitenden des ARCHE Zentrums organisierten kurzfristig für den Übergang ein Gästewohnen im ARCHE Zentrum. Dann zog Maximilian in eine Wohngemeinschaft ein.

Die Zeit, die folgte, war auch schwierig. Sein Verhalten konnte weiterhin als dissozial bezeichnet werden. Maximilian hatte ständig Streit. Andere Mitbewohner fühlten sich von ihm provoziert, er sich ebenso von den anderen. Täter- und Opfer-Rolle wechselten sich ständig ab. Störendes Verhalten wurde von den Mitarbeitenden deutlich angesprochen, angemahnt, abgemahnt. Maximilian forderte ihnen viel ab.

Es war oft schwer, damit umzugehen. Der Anspruch war aber, dem jungen Mann zu signalisieren „Dein Verhalten ist schwierig, Dein Verhalten ist falsch – nicht Du“. Damit verbunden wurde das Angebot der Hilfe, dieses Verhalten zu ändern. Nach einem Jahr hatte er sich aber nicht wesentlich geändert. Die Störungen und seine dissozialen Verhaltensweisen hatten Bestand, sodass es in der WG nicht weitergehen konnte. „Unser Angebot ist falsch für Dich“, wurde ihm vermittelt und nicht: „Du bist falsch hier“. Maximilian nahm das Angebot an, in eine eigene kleine Wohnung außerhalb des ARCHE Zentrums zu ziehen, die die Mitarbeitenden für ihn organisierten. Es zeigte sich, dass diese Wohnform passender für ihn war – das Konfliktpotential wurde geringer, die Unterstützung konnte besser auf seine Bedürfnisse abgestimmt werden.

Nach 3 Jahren ging Maximilian den nächsten Schritt ohne die ARCHE und verließ Bremerhaven. Er kam danach noch einmal zu Besuch und erzählte von seinem Leben. Es verläuft auch weiterhin nicht komplett problemlos. Sein Alltag ist auch verbunden mit Krisen, Aufs und Abs , aber: Es gibt keine großen Gewaltausbrüche mehr, keine Straftaten und Maximilian führt weiterhin ein eigenständiges Leben!

Maximilian suchte bei seinem Besuch den persönlichen Kontakt zu vielen Mitarbeitenden. Er bedankte sich bei ihnen, dass sie ihn nicht aufgegeben haben, dass sie ihm Orientierung gegeben und Grenzen gesetzt haben,  dass sie ihn immer als Menschen gesehen haben.

Die Betreuung von Maximilian war immer verbunden mit Regeln und Absprachen – und mit einem langen Atem der Mitarbeitenden, die Abweichungen und das störende Verhalten anzunehmen.

Es war auch für die Mitarbeitenden nicht immer leicht, die Verhaltensweisen, die Provokationen auszuhalten, und natürlich stießen auch sie immer wieder an ihre eigenen Grenzen. Sie waren stark gefordert und manchmal auch überfordert. Das war nicht nur bei der Betreuung  von Maximilian so. Das gehört zum Arbeitsalltag.

Getragen von der ethisch-moralischen Grundeinstellung, dass der Klient und nicht nur sein Verhalten im Blick behalten werden muss, unterstützen sich die Mitarbeitenden gegenseitig. Sie motivieren, helfen, regulieren einander, wenn die Kraft beim Einzelnen mal zu Ende ist. Aus diesem Miteinander schöpfen sie die Kraft und Überzeugung, diese Arbeit zu leisten. Es gehört auch die Annahme dazu, dass sich grundsätzlich jeder Mensch positiv verhalten möchte und die Erfahrung, dass Veränderungen möglich sind – sie nur manchmal sehr viel Geduld und Langmut voraussetzen.

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