Wie in einer großen Familie

(Quelle: Nordsee-Zeitung vom 13.03.2014 von Susanne Schwan)

Albert-Schweitzer-Wohnstätten betreuen stadtweit 200 geistig Behinderte  - Verein wurde 1970 gegründet

files/Diakonie/Artikel/Bild_ASW.JPGLEHE. Er betreut stadtweit rund 200 Menschen, die aufgrund ihrer geistigen Einschränkungen ständige Hilfe im Alltag brauchen. Mehr als 100 Betroffene warten noch auf einen Platz in einem der Wohnheime. Darum ist der Verein Albert-Schweitzer-Wohnstätten (ASW) nun im Umbruch: Für eine Million Euro baut er an der Schiffdorfer Chaussee ein neues Heim mit 13 Plätzen. Und die Heim-Villa an der Neuelandstraße ist gerade saniert und erweitert worden.


Im einstigen Pastoren-Haus im Schatten der Leher Pauluskirche leben nun 14 statt der bisher zehn geistig und mehrfach behinderten jungen Leute zwischen 18 und 30 Jahren. „Tagsüber arbeiten sie in den Werkstätten der Lebenshilfe oder den Elbe-Weser-Werkstätten“, erklärt Nils Brünjes, seit zwei Jahren Leiter der „Villa“. „Wir haben hier auch zwei neue Vollzeitstellen für Heilerziehungspflege geschaffen.“

Für rund 500 000 Euro ist das 100-jährige Haus zuvor barrierefrei modernisiert und um einen Anbau vergrößert worden. Die Baukosten - auch für das geplante neue Wohnheim an der Schiffdorfer Chaussee, das von der Nachtwache bis zur Krankenpflege etwa zehn neue Arbeitsplätze vorsieht - finanziert der ASW-Verein über Kredite. „Aber das bekommen wir über die Pflegesätze zurück“, erklärt Eberhard Muras. „Die Betriebskosten für unsere Häuser werden durch die gesetzlich verankerten Eingliederungshilfen der Länder Bremen und Niedersachsen getragen.“

Denn auch geistig behinderte Einwohner aus dem benachbarten Cuxland ziehen in die Bremerhavener Wohnstätten. Diakonie-Chef Muras ist Vorstand des Vereins, dessen Gründung 1970 ein besonderes Konstrukt war und bis heute ist: „Das Diakonische Werk und der Verein Lebenshilfe haben damals in Gesprächen mit betroffenen Eltern den immensen Bedarf für stationäre Wohnplätze erkannt, extra dafür wurde der ASW-Verein gegründet und zwei Jahre später das erste Haus an der Breitenbachstraße eröffnet“, rekapituliert Ernst-Michael Ratschow.

Der einstige Superintendent des Kirchenkreises war ab 1980 an der rapiden stadtweiten Entwicklung der Albert-Schweitzer-Wohnstätten beteiligt. „Wir erkannten früh, dass wir mehrere Häuser für geistig behinderte Menschen bauen müssen. Heute trägt ASW weitere fünf teils stationär, teils ambulant betreuende Heime - Mecklenburger Weg (1982), Neuelandstraße (1985), Bismarckstraße (1988), Schiffdorfer Chaussee (1992) und Carsten-Lücken-Straße (2000) - und hat 2010 noch eine Begegnungsstätte an der Fährstraße eröffnet.

Damals wie heute sieht der Verein - dessen Mitglieder je zur Hälfte zur Lebenshilfe oder zur Diakonie gehören müssen - seine Aufgabe darin, „Tagesstrukturen für die Behinderten über 50, die Rentner, zu schaffen“, sagt Lebenshilfe Chef Klaus Ripken.

Auch die bislang zu Hause betreuten geistig behinderten Menschen werden älter, aber die noch älteren Eltern sind der schweren Aufgabe der Pflege nicht mehr gewachsen oder sie sterben - wohin dann?“, erklärt Nils Brünjes. „Wir versuchen sicherzustellen“, betont Ripken, „dass man nicht zwingend stationär leben muss, sondern mit individuellen Hilfen auch in einer Wohngemeinschaft oder allein.“

Es ist Mittag, die Bewohner der „Villa“ arbeiten in den Werkstätten. Es duftet nach Gemüsesuppe. Seit 25 Jahren ist Vera Kutzner beim ASW als Küchenfee. „Es ist toll hier“, sagt die 64-Jährige. „Die Leute kommen zu mir, umarmen mich spontan, wollen helfen und dürfen es auch.“ In allen Wohnstätten sei es „wie in einer großen Familie. Und ich fühl mich wie die ‚Mutter von´t Janze‘.“

DREI FRAGEN AN
Eberhard Muras, Vorsitzender der ASW

Arbeit mit Herzblut

Herr Muras, der Verein strebt nun nach 44 Jahren an, sich in einer GmbH umzuwandeln - warum denn das?

Stimmt, die Geschäftsführerstelle ist ausgeschrieben. Die Vereinsform ist zum Beispiel in Haftungsfragen nicht mehr zeitgemäß. Die Geschäftsführung einer GmbH ist operativer, handlungsfähiger als ein ehrenamtlich fungierender Vorstand.


Auf der Warteliste um einen Wohnplatz stehen über 100 behinderte Menschen - ist ein Neubau an der Schiffdorfer Chaussee mit zwölf neuen Plätzen nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?

Nein, es ist ja nicht so, dass alle morgen vor der Tür stehen, manche warten einige Jahre. Es gibt akuten Bedarf für knapp 20 Betroffene. Das fangen wir auf. Leerstände könnten wir uns auch nicht leisten.

Wie kann der ASW junge Menschen für den extrem anspruchsvollen Beruf, geistig Behinderte zu pflegen, überzeugen?

Man muss sich um Qualifizierungen und angemessene Bezahlung kümmern. Und in unseren Heim-Praktika können sich junge Menschen orientieren, hineinschnuppern. Und erfahren, mit wie viel Herzblut hier gearbeitet wird.

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