Wenn Mama nicht kann…

Bilderquelle:pixabay_com_de_holland_grachten_groningen_2736978.jpgQuelle: Nordsee-Zeitung vom 07.10.2017 VON LAURA BOHLMANN-DRAMMEH

Die Arche-Klinik will psychisch belastete Eltern und Kinder mit einem neuen Kursus für den Alltag stärken. In der allerschlimmsten Phase hat Marion Abraham nur noch auf der Couch gesessen, Kaffee getrunken, geraucht und mit den Stimmen in ihrem Kopf gesprochen, ihre Kinder haben da schon nicht mehr bei ihr gelebt. Trotzdem haben sie heute ein gutes Verhältnis, sagt Abraham, denn sie habe immer versucht, ihnen zu erklären, was eine Schizophrenie ist.

Von ihren Erfahrungen will die 49-Jährige jetzt anderen Betroffenen berichten, bei einem neuen Kursus für Eltern und Kinder der Arche-Tagesklinik. Zuerst hatte Abraham eine Psychose, dann bekam sie Depressionen und entwickelte am Ende eine Schizophrenie.

16 Jahre ist das jetzt her, heute geht es der 49-Jährigen dank ihrer Medikamente wieder gut. „Aber das war für uns alle eine sehr schwere Zeit, wir haben insgesamt sieben Jahre lang richtig gelitten“, sagt Abraham. Ihre Kinder, ein Mädchen und ein Junge, waren neun und fünf Jahre alt, als sie erleben mussten, dass ihre Mutter sich nicht mehr richtig um sie kümmern konnte. „Meine Tochter hat das gestern so zusammengefasst: Mama war krank, Mama brauchte viel Schlaf und Mama hatte kein Geld“, erzählt Abraham.

Während der Psychose hat sie den Alltag kaum bewältigen können, hat fünfzehn Minuten etwas im Haushalt gemacht und musste sich dann wieder eine Stunde auf die Couch legen, erzählt die 49-Jährige. Während der Depression hat sie viel geschlafen, die Kinder mussten oft leise sein. Die Beziehung mit ihrem Mann geht in die Brüche, das Paar trennt sich, Abrahams Kinder leben daraufhin beim Vater, das hat er vor Gericht erwirkt. Die Mutter sieht Tochter und Sohn nur noch alle 14 Tage, Abraham wird schizophren.

„Ich hab nur noch auf der Couch gesessen, Kaffee getrunken, Zigaretten geraucht und mit den Stimmen in meinem Kopf gesprochen“, erzählt sie erstaunlich offen von ihrer Krankheit. Dass ihre Kinder nicht mehr bei ihr leben durften, hat die Situation noch schlimmer gemacht, glaubt Abraham. Getragen hat sie nur die Hoffnung, dass sie irgendwann wieder gesund wird. „Ich habe für meine Kinder und mich gekämpft“, erzählt Abraham. Eine Mutter-Kind-Kur und ein Arbeitsplatz in der Pflege hätten ihr schließlich geholfen, wieder gesund zu werden. Als die Tochter 17 Jahre alt war und selbst entscheiden durfte, wo sie leben möchte, seien die beiden wieder vereint gewesen.

Familien wie die Abrahams sollen in dem Elternkursus der Arche-Klinik gestärkt werden, erklärt Bereichsleiter Michael Tietje, der den Kurs organisiert hat. „Wir wollen psychisch belastete Eltern erreichen“, sagt Tietje. Wer etwa das Gefühl habe, er könne den Spagat zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen seiner Kinder nicht mehr bewältigen, sei im Kursus richtig.

„Wir werden etwa über praktische Erziehungshilfen sprechen, aber auch darüber, wie man Kindern erklärt, was los ist“, so Tietje. Damit der Kursus nicht allzu theoretisch bleibt, werden auch Betroffene wie Marion Abraham über ihre Erfahrungen sprechen. Und: Auch die Kinder sollen mit einbezogen werden. „Sie werden in einem Nebenraum an das Thema psychische Erkrankungen spielerisch herangeführt“, so Tietje.

3 Fragen an Kim-Sören Huster, Kinder- und Jugendpsychiater

Was macht es mit Kindern, wenn ein Elternteil psychisch krank ist?
Kinder sind in besonderer Weise im Zusammenleben einer Familie auf die Eltern angewiesen und von deren Nähe und Belastbarkeit abhängig. Eltern sind für die Kinder Vorbild, Anleitung und Ansporn für die eigene Entwicklung. Sind die Eltern seelisch belastet oder gar manifest erkrankt, dann ist den Kindern wenigstens zeitweise diese Entwicklungsunterstützung entzogen und es droht ein Stopp in der Entwicklung oder gar eine eigene seelische Erkrankung.

Wie kann der Familie geholfen werden?
Hilfe gestaltet sich der Erfahrung nach zunächst entlang der Auffälligkeiten, die die Kinder zeigen: Die Kinder werden uns vorgestellt zumeist mit ihren kreativen Verhaltensauffälligkeiten. Aus den Gesprächen mit den Eltern wird dann gegebenenfalls deren seelische Belastung erkennbar. Hilfe besteht dann in der stützenden Beratung und Begleitung der Eltern, die dann gegebenenfalls an anderer Stelle eine eigene Therapie erhalten.

Warum scheuen Betroffene Hilfsangebote und was ist die Folge davon?
Seelische Belastungen oder gar manifeste Erkrankungen unterliegen oftmals einem gesellschaftlichen Makel. Eltern erleben, dass sie ihrer eigentlichen Verantwortung und Aufgabe in der Begleitung ihrer Kinder zumindest teilweise nicht gerecht werden. Dieses löst oftmals Schamgefühle aus und die Sorge, dass ihnen als Eltern unter Umständen die Kinder entzogen werden, wenn sie „nicht richtig funktionieren“. So gilt es immer, in der Begleitung dieser Familien die Balance zu halten zwischen den unmittelbaren Anforderungen in Bezug auf das Kindeswohl und der Achtung und dem Respekt gegenüber den Leistungen und den Fähigkeiten der Eltern. Gut ist es in der Regel, wenn genügend Zeit für die Begleitung der Familien da ist und nicht ein Einzelner wichtige Entscheidungen vom Schreibtisch aus fällt, sondern ein Team im einfühlsamen Dialog gemeinsam mit der ganzen Familie!

Bundesweit haben zirka 3,8 Millionen Kinder psychisch erkrankte Eltern, 27 Prozent der Bevölkerung leiden unter psychischen Erkrankungen.

In der Arche sind 2015 - 29 Kinder und Jugendliche, 2016 - 49 und 2017  - 70 behandelt worden.

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