Sie wollen herausfinden, was Seelen in Not wirklich hilft

Sonntagsjournal vom 03.03.19 von SUSANNE VANVEENENDAAL

BREMERHAVEN. Es ist Sonntagabend, und die Ängste und Depressionen sind wieder da. Wo bekommt ein psychisch angeschlagener Mensch zu dieser Zeit Hilfe? Soll er ins Krankenhaus gehen, obwohl er vielleicht nur die Nacht überstehen möchte? Die Stadt bräuchte eine Art Krisenbett – das ist eines der Ergebnisse, zudem eine Projektgruppe aus Psychiatrie-Erfahrenen gekommen ist.

Die Gruppe kennt sich mit dem Thema aus .Ihre Mitglieder haben selbst schon einmal psychische Erkrankungen gehabt, arbeiten in dem Bereich oder sind Angehörige von Betroffenen. Als sie sich 2018 zusammenschlossen, waren noch sieben Personen mit im Boot. Mittlerweile hat sich ein harter Kern von drei Beteiligten herausgebildet: Simone Hartung, Gabriele Hagemeister und Holger Nemeyer. Unterstützung erhalten sie von Michael Tietje. Er leitet die Arche, sprich die Sozialpsychiatrische Hilfe der Die Gruppe kennt sich mit dem Thema aus. Ihre Mitglieder haben selbst schon einmal psychische Erkrankungen gehabt, arbeiten in dem Bereich oder sind Angehörige von Betroffenen. Als sie sich 2018 zusammenschlossen, waren noch sieben Personen mit im Boot. Mittlerweile hat sich ein harter Kern von drei Beteiligten herausgebildet: Simone Hartung, Gabriele Hagemeister und Holger Nemeyer. Unterstützung erhalten sie von Michael Tietje. Er leitet die Arche, sprich die Sozialpsychiatrische Hilfe der Bremerhavener Diakonie.

Ziel des Zusammenschlusses, der vollständig „Projektgruppe für Fürsprache und Beschwerdewesen“ heißt, ist es, die Versorgungsstrukturen in der Stadt für psychisch Erkrankte zu verbessern. „Wir verstehen uns als Sprachrohr für die Betroffenen“, sagt Simone Hartung. „Wir geben Wünsche, Kritik und Anregungen weiter, damit es besser wird.“ Wenn möglich, werde bei konkreten Beschwerden auch versucht, direkt zu helfen. Weil die Gruppe an keinen Träger angebunden sei, könne man unabhängig und übergreifend arbeiten.

Um herauszufinden, wo es Probleme gibt, hat die Projektgruppe anfangs sämtliche Orte besucht, an denen sich psychisch Erkrankten aufhalten: darunter Wohnheime, Treffpunkte, Krankenhäuser und Selbsthilfegruppen. Überall habe man die Frage gestellt: „Wie finden Sie unser Versorgungssystem in der Stadt in puncto Psychiatrie?“, berichtet Hartung. Nachdem alle Antworten gesammelt und sortiert worden waren, hätten sich einige, immer wiederkehrende Problemlagen herauskristallisiert, sind sich die Gruppenmitglieder einig. Als besonders großes Thema habe sich die Notwendigkeit eines Krisendienstes herausgestellt.

Was macht jemand, der in psychischer Not ist, am Wochenende? In den späten Abendstunden, oder gar in der Nacht? „Alle Hilfsangebote sind zeitlich begrenzt“, meint Gabriele Hagemeister. „Auch das Nachtcafé schließt um 22Uhr.“ Den Betroffenen bliebe in so einer Situation nur die Notaufnahme eines Krankenhauses. Für Menschen in einer Krise, die sich möglicherweise sogar in einer akuten Psychose befänden, sei das stundenlange Warten in der Menschenmenge –oftmals bei laufendem Fernseher– eine Tortur. „Und das, obwohl für die Betroffenen meist einfach eine Nacht außerhalb ihres Zuhauses reichen würde“, betont Simone Hartung. In den Krankenhäusern jedoch müsse zwangsläufig das volle Programm mit zahlreichen Untersuchungen durchlaufen werden. Auch für die überlasteten Kliniken sei dies nicht unbedingt ideal, ergänzt Michael Tietje. Die Krankenkassen hätten ebenfalls kein Interesse an so einer groß angelegten Prozedur, wenn eigentlich nur ein Rückzugsort in der Not gesucht werde. Für alle Beteiligen sei die vorherrschende Situation also unbefriedigend. Mithilfe der Projektgruppe sei der eigentliche Bedarf –nämlich der eines Krisenbettes– offenkundig geworden, meint Tietje.

Ein weiteres Problem: „Wer kümmert sich um die Kinder, Haustiere, Blumen und die Post, wenn jemand in der Klinik ist?“, skizziert Holger Nemeyer eine oftmals ungeklärte Frage. Nicht nur einmal hätten die Mitglieder der Gruppe auch gehört, dass die gesetzlichen Betreuer selbst einmal die Hilfsangebote aufsuchen sollten, zu denen sie ihren Betreuten raten. Manche Anregungen sind zudem sehr detailliert: „Es wurde zum Beispiel angemerkt, dass in einer Einrichtung der Spender für das Desinfektionsmittel zwar irgendwo hängt, aber leider nicht auf dem WC“, berichtet Nemeyer. „Diesen Hinweis gebe ich gerne weiter. “Einen ersten Erfolg kann die Gruppe schon verbuchen: So werde der Wegweiser des Magistrats, der alle Psychiatrie-Angebote der Stadt auflistet, auf ihre Initiative hin zurzeit aktualisiert. Dies sei vor allem für Betroffene wichtig, die zum ersten Mal erkrankt seien und die Anlaufstellen noch nicht kennen. Solche kleinen Errungenschaften motivieren: „Endlich kann man etwas am System ändern“, findet Simone Hartung.

Damit man mehr bewirken könne, müsse die Gruppe aber noch bekannter werden, sind sich alle einig. „Wir wollen jetzt wiederverstärkt Klinken putzen“, kündigt Gabriele Hagemeister an. Das heißt, es steht eine neue Besuchsrunde bei den Selbsthilfegruppen, Treffpunkten und Co.an, wo Werbung in eigener Sache gemacht werden soll. Als nächsten Schritt können sich die Mitglieder auch eine Art Tauschbörse beziehungsweise ein Schwarzes Brett vorstellen, wo Psychiatrie-Erfahrene sich gegenseitig Hilfeleistungen für Notsituationen anbieten können – ähnlich wie bei einer Freiwilligen-Agentur. Doch egal, an welchen Ideen die Gruppe auch arbeitet, es gehe nicht darum, neue Leistungen zu schaffen, betont Michael Tietje. „Es soll in erster Linie das, was bereits vorhanden ist, besser vernetzt werden“, sagt er.

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