Hier bahnt sich Hilfe an

(Nordsee-Zeitung vom 28.12.2013 von Anna Ozimek)

files/Diakonie/Bahnhofsmission_logo/DSC_0202.JPGSie sind für alle da, die sie brauchen. Unbürokratisch und auch außerhalb der Bürozeiten. Und das bereits seit 1894. Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission behandeln alle gleich. Sie helfen am Ticketautomaten, schenken ein heißes Getränk aus und kennen Einrichtungen für Bedürftige. Ob Kita-Kinder, Obdachsuchende, Alleinerziehende oder auf gebrechliche Senioren – hier wird jeder als Mensch gewürdigt. Auch in Bremerhaven gibt es das Angebot. Leider so gut wie unsichtbar. Die Tür bleibt aus Kostengründen immer häufiger geschlossen.

Die Kaffeemaschine seufzt noch ein letztes Mal laut, dann ist der Kaffee fertig. Beate Quast füllt einen weißen Plastikbecher dreiviertel voll mit der schwarzen Flüssigkeit. „Für den Obdachlosen vor dem Bahnhof“, sagt sie, „ein alter Bekannter, kommt aber selten hier hoch.“ Weil sich die Menschen von ihm belästigt fühlen, nuschelt der in mehrere Jacken und Schlafsack eingemummte Mann. Klar, sei es kalt hier draußen. Die Kälte der Luft ist ihm aber lieber, als die Kälte der Worte, die er mal zu hören bekam, als er sich in der Bahnhofsmission aufwärmen wollte. „Wenn der Winter hart wird, kommst du aber“, sagt Quast. Ob sie nicht eine wärmere Hose für ihn hätte, flüstert der Mann. Sein Gesicht ist ganz unter der Kapuze versteckt, er schaut zu Boden. Quast erfragt noch die Hosengröße, sie werde im Diakonie-Lager nachschauen, verspricht sie.

Es ist 9 Uhr am Mittwochmorgen. Quast war schon um 7.30 Uhr da. Sie hat einen bedürftigen Mann mit provisorischem Frühstück versorgt. „Kaffee und Kekse haben wir immer da, Brot gibt’s nur noch selten“, sagt sie. Die Bahnhofsmission habe sich im Laufe der Zeit verändert. Vor über hundert Jahren wurde die erste Anlaufstelle dieser Art in Berlin gegründet: Zum Schutz für junge Frauen, die vom Land in die Stadt kamen auf der Suche nach einer Dienststellung.

1910 wird die nach eigenen Angaben älteste ökumenische Struktur auf dem Gebiet der offenen
sozialen Arbeit gegründet, die heutige Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission in Deutschland. In den großen Auswanderungswellen vor und nach dem ersten Weltkrieg waren die evangelischen und katholischen Helfer an den Bahnhöfen wichtige Ansprechpartner für Migranten aus ganz Europa. Nach den Kriegen waren die Bahnhofsmissionen erste Orientierungshilfe für Heimkehrende, Flüchtlinge und Familiensuchende, später für Aussiedler, Asylsuchende und Arbeitsmigranten aus Süd- und Osteuropa.

„Heute sind Reisehilfen für ältere, kranke, behinderte Menschen, Mütter mit Kleinkindern, ihre Begleitung und Betreuung an den Zügen die Schwerpunkte der Arbeit“, so Martin Müller vom Diakonischen Werk. 1950 hat sich die Bahnhofsmission Bremerhaven dem Diakonischen Werk, damals Innere Mission, angeschlossen. Am Bahnhof, der immer mehr technisiert wird, ersetzten Automaten immer häufiger das Personal, so Müller. „Die Bahnhofsmissionen sorgen dafür, dass die Bahnhöfe menschliches Gesicht bewahren und auch sozial Benachteiligte weiter die Hilfe bekommen, die sie benötigen.“

Auch in Bremerhaven hat sich in mit den Jahren etwas verändert. Quast sitzt am kleinen Tisch mit vier Stühlen in dem engen Raum am Gleis 4. An der Wand hinter ihr hängt ein Holzkreuz neben dem Missionsschild, darunter eine Spendendose. Doch der Euro klingelt hier immer seltener. „Es ist etwas eingeschlafen, seitdem wir umgezogen sind“, sagt Quast. Sie arbeitet seit 17 Jahren in der Bahnhofsmission. Vor kurzem war die Anlaufstelle für Hilfebedürftige in Bremerhaven aber zweimal so groß. Im Rahmen der Sanierung des Bahnhofs musste sie aber im Januar 2010 vom Gleis 2 umziehen, wo sich das Team der Bahnhofsmission den Raum mit der Servicestelle der Deutschen Bahn teilt.

Die Zahl der täglichen Kontakte ist von durchschnittlich 20 im Jahr 2009 auf acht bis neun im Jahr 2013 gesunken. Dass sich in den vier Jahren die Zahl der Bedürftigen halbiert hat, darf jedoch angezweifelt werden. Ob es mit dem versteckten und  schlecht ausgeschilderten Standort am Gleis zusammenhängt, sei dahin gestellt. Fakt ist: Wer nicht weiß, dass es in der Stadt eine Bahnhofsmission gibt, findet nur schlecht den Weg hierhin. „Wenn wir könnten, würden wir mehr Schilder anbringen“, sagt Müller, „die Beschilderung wird aber von der Deutschen Bahn angebracht.“


Seit dem Umzug habe sich auch die Art der Arbeit in der Bahnhofsmission  verschoben. Quast versucht bei jedem abfahrenden und ankommenden Zug – soweit die Zeitspanne es erlaubt – am richtigen Bahnsteig zu sein. Dazwischen unten in der Halle, an den Fahrkartenautomaten. „Ich spreche die Menschen direkt an, im Laufe der Zeit entwickelt man ein Blick dafür, wer Unterstützung gebrauchen könnte“, so Quast. Sie hilft beim ein-, aus-, und umsteigen, trägt mal den Koffer zum Fahrstuhl. „Wir sind in dem Häuschen am Gleis vier“, erklärt Sie einem älteren Mann, der ohne Bein, mit Krücken und einem Rollwagen voll Schlafzeug unterwegs nach Bremen ist. „Wenn Sie zurückkommen, sich aufwärmen möchten oder einen Schlafplatz brauchen, kommen sie vorbei.“

„Statistisch wird es zwar nicht erfasst, gefühlt hat sich die Arbeit jedoch erheblich von unterstützender Arbeit in den Räumlichkeiten der Bahnhofsmission zum Ansprechen am Bahnsteig verschoben“, so Müller. „Aber so ein Bahnhof wie Bremerhaven ist sowieso kein Sammelpunkt für Obdachlose“, erklärt er. Dafür gäbe es andere Orte in der Nähe, wie zum Beispiel das Männerwohnheim der Gisbu mbH.


Drei Ehrenamtliche arbeiten aktuell in der Bahnhofsmission. Quast ist halbehrenamtlich – wie sie sagt – mit 25 Stunden im Monat dabei. Ein- bis zweimal die Woche ist sie hier. Im Team gibt es nur noch zwei weitere Kolleginnen, die mit ein paar Stunden die Woche ehrenamtlich aushelfen. Früher waren es sechs Helfer.


Jetzt reicht es nicht mehr, um die Öffnungszeiten von 7.30 bis 17.30 Uhr unter der Woche und 7.30 bis 11.30 Uhr am Sonnabend abzudecken. „Wenn niemand von uns kann, bleibt die Tür geschlossen“, so Quast. Am mangelnden Interesse an der Beschäftigung liegt es nicht. „Trotz der Förderung der Stadt stehen nicht allzu viele Mittel zur Verfügung“, erläutert Müller, „da auch Ehrenamtliche Kosten verursachen, die wieder erstattet werden müssen, ist es uns nicht möglich, allen Interessierten eine Beschäftigung anzubieten.“

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