Amadeus – Seelenöffner auf vier Pfoten

Quelle: Nordsee-Zeitung vom 19.12.2014 von Lili Maffiotte


von links: Karola Haufe (Servicehundeausbilderin), Frank Forstreuter (Leitender Oberarzt der Tagesklinik Virchowstraße), Nicole Perret (Mitarbeiterin der Wir.Leben. Apotheke))Was ein Therapeut manchmal nicht vermag, das schafft Amadeus. In der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Virchowstraße ist der fünf Jahre alte Golden Retriever der Therapeut auf vier Pfoten. Er hilft vielen emotional gestörten Kindern zurück in die Spur. Und schafft Vertrauen. Amadeus ist der Seelenöffner.


Tiergestützte Therapie nennt sich das. „Das Vertrauen zwischen dem Hund und dem Kind ist ganz schnell da“, sagt Frauchen Karola Haufe. Sie hat eine Hundeschule in Bremerhaven. Als Welpe kam er zu ihr. Weil er die richtige Veranlagung hat und sein Wesen sich eignet, um Kindern zu helfen. „Er war eigentlich für ein mehrfach behindertes Kind vorgesehen“, sagt sie. Das habe aber nicht geklappt. So entstand die Idee, dass Amadeus doch auch vielen Kindern helfen könnte.

Auf offene Ohren stieß Karola Haufe bei der Jürgen-und-Roswitha-Braun-Stiftung, die nicht nur in die Ausbildung des Hundes investierten, sondern auch sicherstellte, dass der Testballon an der Tagesklinik ausprobiert wird. „Wir wussten nicht, ob das funktionieren würde“, sagt Frank Forstreuter, Leitender Oberarzt der Diakonie-Tagesklinik Virchowstraße. Vom Erfolg hat sich das Team mittlerweile überzeugen können: Seit drei Jahren ist Amadeus eine feste Größe im Therapieplan.

Und er soll es bleiben. Doch der Hauptsponsor ist weggefallen. „Bis Mitte nächsten Jahres ist das Angebot finanziell abgesichert, danach sieht es schlecht aus“, sagt Forstreuter. Er möchte nicht darüber nachdenken, was das für die Seelen seiner kleinen Patienten bedeutet. „Es wird ein herber Rückschlag.“ Ein sehr wichtiger Therapie-Baustein würde wegbrechen. Aber die Flinte ins Korn werfen, will keiner. Sie hoffen auf andere Sponsoren.

Zwei Unterstützer haben sie bereits gefunden: Elke Düvel von „wir leben Apotheke“ und Reinhard Gemkow von „Fressnapf“ in Spaden. „Bis Mitte 2015 ist eine Therapiestunde pro Woche möglich“, rechnet Forstreuter vor. Ihm wäre es natürlich lieber, wenn Amadeus wie zuvor für zwei Hundestunden kommen würde. So wird die tiergestützte Therapie genannt.

24 Monate ist Amadeus ausgebildet worden, um Kindern mit seelischen Störungen zu helfen. Der Therapeut auf vier Pfoten leistet dabei hochprofessionelle Arbeit. Aber eigentlich ist er nur ein Hund, der es schafft, sich in die Herzen der Kinder zu spielen. Er gewinnt ihr Vertrauen. Mit ihm sprechen sie. Manchmal nur leise in sein flauschiges Ohr. Manchmal vertrauen sie ihm auch kleine Zettel an, die sie zwischen Fell und Geschirr klemmen. Geheimnisse und Sorgen, noch nie erwähnt, schon gar nicht angedeutet. Er bringt sie dazu, dass sie sich anderen Menschen öffnen können. Dass sie soziale Kompetenzen lernen. Und das alles spielerisch.

Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren werden in der Tagesklinik behandelt. „Sie haben die ganze Palette an seelischen Störungen. Ängste, Depressionen oder soziale Schwierigkeiten“, sagt Forstreuter. Die meisten haben in ihren jungen Jahren schon ein großes Paket zu tragen. Amadeus ist der Eisbrecher mit dem Flauschfell. Innerhalb kurzer Zeit bewirkt er, dass die Kinder ihr bisheriges Verhalten überdenken.

„Wir spielen Fußball oder Mensch-ärgere-Dich-nicht“, sagt Karola Haufe, die Tierpsychologin. Auch für sie war die Arbeit mit seelisch kranken Kindern Neuland. „Das Vertrauen zu Amadeus ist hundertprozentig da. Und er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann.“ Wenn ein Kind zu heftig ist, hauen, treten oder kneifen will, dann steuert Karola Haufe gegen. Manchmal bricht sie die Stunde auch ab. Oder verkürzt sie. In Absprache mit dem Therapeuten.

Sie hat nicht nur ein Gespür für die Hunde, sondern auch für das, was den Kindern hilft. Und dabei hilft ihr Amadeus. „Er wird zum besten Freund. Zur Mama. Es ist ein Rollentausch.“ Und der Hund reagiert intuitiv. „Sind die Kinder zu laut, dann zieht er sich zurück, wird passiv.“ Ist ein Kind akut in Not, dann weist der Golden Retriever sein Frauchen darauf hin. „Er stellt sich quer vor das Kind und sucht zu mir den Blickkontakt.“ Amadeus ist hochsensibel.

„Unser Therapieangebot ist in der Region Bremerhaven einzigartig“, sagt Forstreuter. An die Erfolge von Amadeus hat er sich mit seinem Team gewöhnt. An die Schnelligkeit der Fortschritte noch nicht. „Wenn ein Kind einfach nicht sprechen will, dann können wir uns auf den Kopf stellen, da passiert nichts“, erzählt er. Um so erstaunlicher, dass Amadeus es schafft, die kranken Seelen zu erreichen.

„Er nimmt die Kinder so wie sie sind. Egal, ob es rote Haare, eine Hasenscharte oder einen Sprachfehler hat. Er will nichts von ihnen. Er ist nur für sie da“, erzählt Karola Haufe. Und dann erlebt sie, wie aggressive Kinder auf einmal neben dem Hund liegen. Ruhig. Verschmust. Wie sie sich um ihn kümmern, ihm was zu trinken holen. Ihn beim Gesellschaftsspiel gewinnen lassen, obwohl das in der Vergangenheit einen Tobsuchtsanfall ausgelöst hat.
Und am Ende einer Hundestunde flüstern die Kinder ihrem flauschigen Therapeuten ins Ohr. Vergewissern sich: „Wir sehen uns nächste Woche wieder.“

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